9. Oktober 2010

indiana jones der kulinarik trifft gemüsefetischist in istanbul


in der woche 1 nach der neuen online strategie des magazins (na ja, strategie...?) sehe ich mich nicht imstande, mit dem kopfschütteln aufzuhören.

aus anlass des bevorstehenden hauptdurchstichs am st. gotthard serviert uns das magazin eine preisgekrönte fotoserie von der tunnelbaustelle, geknipst von milo keller, der sein geld normalerweise als fotograf in der haute couture verdient und auch schon für nestlé abdrücken durfte, wie man im teaser ausdrücklich bemerkt. aber eigentlich interessiere er sich mehr für supertanker, staudämme, "grosse dinge" eben. mit welchem preis genau diese fotoserie ausgezeichnet worden ist, erfahren wir nicht. war es vielleicht ein voting bei flickr?

die serie besteht aus fünf bildern, die ich hier mal selbstbewusst als eher mittelmässig bezeichnen möchte. weitere bilder darf man aber via ipad app ansehen (siehe ausriss oben), ein klassischer mehrwert. den aber nur sehr wenige leserinnen und leser werden nutzen können. denn das tagimagi hat eine auflage von 530'000 und ipads gibts in der schweiz gerade mal 60'000. schätzen wir mal grosszügig die hälfte dieser ipad user als am magazin interessierte menschen ein, dann ist dieser online-mehrwert gerade mal für gut 5% der magazinkunden überhaupt erreichbar. und auch das nur gegen zusätzliche bezahlung. denn selbst abonnenten müssen bis auf weiteres chf 1.10 pro ipad-ausgabe bezahlen.

darüber haben sich viele tagimagikunden aufgeregt. die kommentare auf der magazin website und anderswo sind grösstenteils negativ bis gehässig. ich vermute, dass das magazin auch haufenweise mails von ungehaltenen abonnenten bekommen hat. immerhin steht in der neuesten ausgabe im editorial dieser text (dort stehen sonst SEHR selten solche sachen):


haha, "einige abonnenten"... öhm, würde mich mal interessieren, wieviel denn "einige" von ein paar hunderttausend sind.

keine frage, die vergabe von ein paar hunderttausend passwörtern für abonnenten von vier zeitungstiteln ist it-technisch kein spaziergang. ich bin mal gespannt, ob und wann und wie sie das hinkriegen (ohne dass das passwort schon jeweils am freitagabend rumgetwittert wird ;-).

wie auch immer, man wird den eindruck nicht los, dass sich tamedia erst jetzt, wo die reklamationen reinhageln, um dieses abonnentenproblem kümmert. denn es war ja für jeden juniormarketer absehbar, dass das die wenigsten kunden wirklich gut finden. wenn man die kundenschelte schon kommen sieht, könnte man ja von anfang an darauf eingehen. oder das passwortproblem vorher lösen. oder die paywall erst dann hochziehen, wenn das passwortproblem gelöst ist. ganz zu schweigen von einer iphone app und vielleicht noch einer android app, die man vielleicht gleichzeitig hätte anbieten können. ganz zu schweigen von den vielen kioskkäufern. gut, da kann man noch behaupten, man könne diese mit einem gratispasswort als neuabonnenten gewinnen. was aber angesichts der eher beschränkten technischen erreichbarkeit von nur gut 5% der zielgruppe (siehe oben) doch eher etwas dilettantisch anmutet.

noch schlimmer als die lamentohafte kundenansprache im heft ist übrigens diejenige online:

meine güte... drei ganze zeilen – an die abonnenten des "tages-anzeigers", eine so furztrockene kundenansprache (headline) sieht man wirklich selten. zudem ist sie irgendwie falsch, weil die abonnenten von bund, bz und baz einfach ausgeblendet werden. es fehlt die angabe eines zeithorizonts, der im heft ja genannt wird (einige wochen). dafür gibts eine dümmliche ausrede von wegen technischen gründen, von denen im print nicht resp. ganz anders die rede ist (siehe ausriss weiter oben). ziemlich lustlos hingeschlenzt ist das, so in der art "soll sich der kunde doch sein dämliches ipad irgendwohin stecken".

nun ja, dafür hat man, wie der chefredaktor ebenfalls im editorial mitteilt, einen neuen-alten-festen-freien mitarbeiter angeheuert. christian seiler aus wien, ehemals magazin redaktor und chefredaktor beim du. eine sog. edelfeder. er wird beim magazin künftig über essen schreiben, was ja bekanntlich die zweitbeliebteste tätigkeit des menschen sei, und, so der chefredaktor wörtlich, herr seiler werde den "india jones der kulinarik" geben. müssen sich edelfedern jetzt generell mit solchem unsinn ankündigen lassen?

der erste text (8 seiten) von indiana jones handelt heute vom "besten restaurant der welt". was ich für die vermutlich dümmste behauptung halte, seit es diese abgehobene und sinnentleerte schickimickijournaille gibt. wenn die von irgendwas sagen, es sei das beste der welt, kann das nicht seriös sein. ganz geil ist der lead:

Das momentan beste Restaurant der Welt bricht mit allen Manierismen der Spitzengastronomie – und wird so zur "moralischen Anstalt".

moralische anstalt? was auch immer damit gemeint ist, man fragt sich, was sie beim magazin wohl in den lead schreiben, wenns wirklich mal um eine art moralische anstalt geht und nicht um ein ganz normal gehyptes gourmetrestaurant in kopenhagen. statt den text von indiana jones zu lesen hab ich mir die website dieser moralischen anstalt angesehen. sie ist miserabelst. trotzdem kostet ein 7-gang menu im NOMA 140 euro, der passende wine course dazu 120. dieser besteht aus 7 gläsern unterschiedlicher weine, was nur neureiche prolls wirklich gut finden können. henusode – hauptsache die moral bleibt in der anstalt.

angekündigt wird übrigens noch, dass der indiana jones der kulinarik demnächst – achtung, kein witz – über einen gemüsefetischisten aus istanbul schreiben und im thailändischen dschungel den wok entmystifizieren wird. ist das nicht geil? den wok entmytifizieren... mit allen manierismen brechen... und der gemüsefetischist kommt aus istanbul. wahnsinn. da habt ihr eure leser (aka kunden) aber brutalstmöglich zugeteasert. da darf man wohl – als magazinleser der ersten stunde – brutalstmöglich zurückbloggen.

was auch noch auffällt diese woche im printmagi: keine leserbriefe. null. ist das ein sonderheft und ich habs nicht gemerkt? oder konnte man sich unter den vielen zuschriften zu dieser skurrilen ipad strategie einfach nicht für die passenden fünf entscheiden? oder haben sie sie einfach vergessen? oder abgeschafft? oder wie?

was ich nicht verstehe: wie kann man mit einer alten und wertvollen premium marke nur solchen unfug anstellen?

+ + + + +

update: ach ja, diese üble magazin-geschichte war ja auch noch.
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3 Kommentare:

  1. öhm ... und ich hätt noch gern gewusst, wo ich als Dinosaurier-Tagi-Abonnentin das Magi online lesen kann. Hab keine dieser modernen Schiefertafeln und will auch keine. Mein Internetanschluss vom Heimcompüterchen aus würde aber tadellos funktionieren. Falls doch noch jemand bei Tamedia auf die Idee kommen könnte, dass es nicht ganz so witzig und schon gar nicht sonderlich klug ist, den Grossteil der Kunden im virtuellen Nirvana versenkt zu lassen.

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  2. Weder das Magazin, das Sie besprechen, noch Ihr Blog waren mir bisher bekannt. Ich bin nur wegen der gastronomischen Überschrift vorbei gekommen. Ihr Ton ist ziemlich unangenehm, und ihre Aussagen über das Noma zeugen davon, dass sie weder philosophisch noch gustatorisch in der Lage sind, eine angemessene Aussage darüber zu treffen.

    Also etwas weniger Lärm und etwas mehr Hirn, bitte-

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  3. Dass Sie das Magazin kritisieren: eine Sache. Aber warum hacken Sie auf der Internetseite des Restaurants herum? Sie hat alle nötigen Infos in zwei Sprachen und ganz schöne Bilder. Was erwarten Sie denn von der Internetpräsenz eines Restaurants? Die sollen ja kochen können und keinen red dot gewinnen.

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