25. Dezember 2006

sonntagszeitung: scheinheilige doppelmoral

bild: die scheinheiligen, dorfzeitung.de

dass grosse zeitungen immer noch schurnis ans thema blogs lassen, die von tuten und blasen offensichtlich wenig ahnung haben, ist so erstaunlich, dass man fast schon absicht dahinter vermuten könnte. oder einfach plumpen bullshit-journalismus.


die kadenz ist immer noch bescheiden, so alle zwei monate eine bloggerstory tuts voll und ganz, sagt man sich wohl im hause sonntagszeitung. dann solls aber auch bitteschön ein verriss werden. man kann ja nicht die eigene konkurrenz hochschreiben. also bedient man sich einer höchst verwegenen doppelbödigkeit, die an kaltschnäuzigkeit und dilletantismus kaum zu überbieten ist.

barnaby skinner, freier journalist und ex-chef von news.ch, zieht in der letzten sonntagszeitung über nicht weniger als zwei bezahlte und auch als solches deklarierte einträge von bloggingtom und leu her. ganze zwei, nicht zwanzig. dabei ist barnaby skinner nicht einmal fähig, den tatsächlich bezahlten betrag richtig zu recherchieren – in seiner story ein immerhin zentraler fact. peinlich. sehr peinlich. aber nicht neu – von der sonntaszeitung sind wir blogger uns nichts anderes gewöhnt als eine volle breitseite von gezielter desinformation und/oder schluddriger recherche. schon im sommer behauptete sie deutlich zwischen den zeilen unterstellend, dass kurt aeschbacher nicht selber blogge, sondern bloggen lasse. wie wir heute alle wissen, ist das gegenteil (im fall elton john) kürzlich bewiesen worden.

herr skinner hat null ahnung

dass herr skinner von der blogosphäre und dem web 2.0 sozusagen null ahnung hat, beweist er u.a. mit diesem satz:

Blogger begriffen ihre Netztagebücher lange als fünfte Macht im Staat.

herr skinner, das ist totaler quatsch. als "vierte gewalt im staat" hat man bisher die unabhängige qualitätspresse bezeichnet und sonst gar niemanden. bringen sie da mit ihren billigmetaphern nur mal nichts durcheinander, herr skinner. die vierte gewalt, nicht die fünfte macht, heisst das, herr skinner. und überhaupt: zeigen sie mir von den zehntausenden deutschsprachigen blogpostings dieses jahres nur zehn, in denen ein blogger sowas schwachsinniges verzapft hat – sie kriegen von mir eine kiste drittklassigen edelzwicker. bei aller geschwätzigen selbstverliebtheit, die man bloggern meinetwegen unterstellen kann, ist eines klar: sie wissen selber am besten, wie weit ihre wirkung geht oder wie weit eben gerade (noch) nicht. sie debattieren darüber, sie messen ihre reichweiten sehr genau und sie monitoren die medien über allfällige erwähnungen.

blogger wissen sehr wohl, dass nur gerade 5% der mitteleuropäer überhaupt wissen, was ein blog ist, dass nur etwa 2% der onliners einigermassen regelmässig mitlesen und dass hierzulande der politische, gesellschaftliche, soziale, kulturelle und wirtschaftliche einfluss von blogs im moment noch sehr überschaubar ist. gerade die bekannten und ernsthaften blogger wissen das und setzen sich in ihren postings öfters sehr selbstkritisch mit dieser tatsache auseinander. das geht bei robert basic soweit, dass er seine leserzahlen bis zwei stellen hinter dem komma publiziert und dann und wann auch seine werbeeinnahmen offenlegt resp. die verschiedenen werbeprogramme (adsense, adlink etc.) kommentiert – meist mit sehr ernüchternden schlussfolgerungen. wer ernsthafte blogs wirklich liest, kann an dieser breit geführten debatte nicht vorbeigelesen haben. gut, manche leute begreifen auch dann nichts, wenn sie alles lesen. es gibt nichts, was es nicht gibt.

wenn blogs politisch bereits etwas bewirkt haben, herr skinner, im sinn von x-ter gewalt und so, dann nicht hier in mitteleuropa, sondern in den usa oder weltweit in einigen diktaturen ohne pressefreiheit. und selbst dort sind es nur vereinzelte blogs und ihre wirkung ist absolut gesehen sehr bescheiden. aber hier, im deutschsprachigen raum? hier war in letzter zeit das höchste der gefühle der studi-vz-skandal, aber von blogs als x-ter irgendwas im staat hat man hier noch nichts bemerkt. wie kommen sie also dazu, herr skinner, solchen unsinn zu verbreiten? nach dem wievielten joint haben sie sich diesen schwachsinn aus den fingern gesogen?

aufgeblasene petitesse

auch ihre journalistische gewichtung der ereignisse ist jenseits von gut und böse, herr skinner. gerade mal zwei blogger haben sie ausfindig gemacht, die je ein bezahltes und als solches gekennzeichnetes posting online gestellt haben und dies erst noch in einem öffentlich und sehr transparent angekündigten werbe-programm. lächerlich, herr skinner. eine zu winzige petitesse ist das, um vom verlieren der blogger-unschuld zu sprechen. aus diesem stoff kann man allenfalls eine early-adopter-geschichte machen (über das neue konzept bezahlter postings), aber keine solche hammer-wertung über die ganze bloggerszene abgeben. das ist unseriös, mister skinner, hochgradig unseriös. und frech. das ist als würde ich sie als einen ungehobelten nachwuchsschurniklugscheisser nennen, herr skinner.

der jüngste blog-bash der sonntagszeitung macht, mal abgesehen von unserem nachwuchsjourni, deutlich, dass die 1.0-verlage von der blogosphäre nichts bis wenig begriffen haben. diese art schreibe entlarvt ihre unterschwellige angst vor der neuen konkurrenz. die vor sich hindämmernde publizistikgilde ist hochgradig verunsichert, nicht nur durch blogs, sondern ganz allgemein vom web 2.0. das zeigt sich nicht nur in den stets inkompetenten und desinformierenden blog-storys der sonntagszeitung, sondern auch im gebahren anderer verlage. entweder sie kopieren webzweinullige aktionen eins zu eins und ohne jegliche referenz an die autoren (wie hier die berner zeitung), oder sie lancieren hüftschussmässig nervöse blogaktionen wie ringier mit dem kläglich gescheiterten blogstetten/bloggersdorf-projekt. eine wirklich interessante und gut gemachte web 2.0-aktion hat in der schweiz noch kein einziger etablierter verlag hingekriegt.

doppelmoral bis zum abwinken

und dann, herr skinner, möchte ich ihren schlecht recherchierten bericht auch noch der krassen doppelmoral bezichtigen. wasser predigen und wein trinken, müsste man das in diesen scheinheiligen zeiten nennen. sie trampeln hier auf ganzen zwei schweizer bloggern rum, die sich für irgendein läppisches schmonzensposting ganz offiziell – und SICHTBAR deklariert – haben bezahlen lassen. sie haben das jedenfalls klarer deklariert als das in ihren kreisen in den meisten der fälle getan wird, herr skinner! ganze zwei! sie verschweigen dabei, dass ihr eigener saftladen zu weit über 50% von der werbung lebt, dass kein normal geführter verlag je für einen wettbewerbspreis auch nur einen müden euro bezahlt hat und dass ihre postillen geradezu strotzen vor gefälligkeitskontent oder 1:1 übernommenen pr-texten.

sie verschweigen auch, dass journalisten hochprivilegierte berufsleute sind, die sich fast überall einen rabatt abgreifen können und dies auch tun, die jahraus und jahrein geschenke, vergünstigungen und kleine apanagen erhalten und das ganz normal finden (vom vergünstigten sbb-general-abonnement über unzählige gratis-bücher bis hin zu den beliebten journalistenreisli).

in keiner anderen branche wird so viel mit "geben-und-nehmen" gedealt, herr skinner, wie in der medienbranche. das ist ja kein geheimnis mehr, sondern ganz normaler medienalltag. der radiomann sagt zum promoter: gibst du mir 10 freikarten, dann mach ich eine verlosung und nenne ort und datum deines konzerts. ein ganz normaler ablauf ist das. ob in der zeitung oder im radio. jeder weiss, dass das radio die tickets nicht bezahlt, sondern vom veranstalter zur verfügung gestellt bekommt. courant normal. warum bitteschön soll das bei den bloggern anders laufen, her skinner? warum soll das bei neuerdings.com in einer weihnachtsaktion anders sein? wollen sie etwa behaupten, dass z.b. die weine, die in der sonntagszeitung regelmässig getestet resp. von weinkennern verkostet werden, vom verlag bezahlt werden? für so blöd halten sie uns (leser)?

blogger haben mehr moral

etwas ist allerdings bei uns bloggern gaaanz anders als in ihrer medienwelt von gestern, herr skinner. nämlich die art und weise. die offenheit. die ehrlichkeit. blogger deklarieren bezahlte postings, sie debattieren öffentlich über diese und andere arten von bezahlter werbung (viele sind dagegen), sie legen (oft) ihre einnahmen offen und sie erarbeiten sich ihre glaubwürdigkeit als ausdauernde und agile solo-shows statt als unbeweglicher medienkonzern. zudem werden blogs, die sich verdeckt vor irgendeine pr-maschine spannen lassen, ziemlich schnell enttarnt und dann mangels zielgruppenrelevanter reichweite dicht gemacht (in deutschland gabs 2006 eine handvoll kruder fälle rund um die pr-agentur edelmann, in den usa einen bekannten fall im umfeld des detailhandels-giganten wall mart). blogger haben insgesamt, herr skinner, mehr moral als alle grossen verlagshäuser zusammen. diese sind nämlich heute zu 95% nichts weiter als hochgradig gewinnorientierte industrieunternehmen, einige davon sind eigentliche geldmaschinen – was zwar ihr gutes recht ist, aber dann bitteschön auch jedem blogger seines.

ihre verlogene und läppische desinformation geht noch weiter, herr skinner. in einem anderen satz sagen sie:

ein lieblingsthema der blogger sind fehler der massenmedien.

so so, herr skinner. woher haben sie denn das nun wieder? nur weil es unter tausenden von blogs auch ein paar watchblogs hat, ist das noch lange kein lieblingsthema von blogs oder bloggern. ich würde mal kühn behaupten, dass die fehler der massenmedien in mindestens drei vierteln aller blogs noch gar nie ein thema gewesen sind. mit ihrem satz, herr skinner, suggerieren sie aber, jeder blogger würde mindestens einmal wöchentlich die fehler der ach so integren klassischen presse aufdecken oder sie sonstwie unschicklich anprangern. dem ist natürlich nicht so. wenn blogger schon ein lieblingsthema haben, dann ist es ganz sicher das bloggen selbst, herr skinner. dass sie noch nicht geschnallt haben, wie selbstreflektierend die blogosphäre eigentlich ist, zeigt ebenfalls, wie wenig sie sie sich mit ihr wirklich befasst haben. das kommt mir irgendwie vor, als würde ein kenia-tourist nach zwei wochen urlaub in einem edelpuff von mombasa einen kenia-reiseführer bei du mont publizieren wollen. bireweich.

null journalistisches handwerk

noch ein letzter satz aus ihrem miserablen artikel, herr skinner, möchte ich zitieren und kommentieren. er ist so weit weg von jedem anständigen journalistischen handwerk, dass man schlichtweg staunt:

Und die gleichen Blogger, die hinter jedem Reisebericht in der Presse Auftraggeber aus der Tourismusbranche vermuten, machen vorbehaltlos mit.

herr skinner, von einigen tausend schweizer blogs haben sich ganze zwei für je ein posting bezahlen lassen, ganze zwei! aber in ihrer beurteilung macht irgendwie der ganze wilde bloggerhaufen vorbehaltslos mit, über 5'000 blogger. das ist doch einfach sehr hoch und sehr falsch gepokert, herr skinner. sie würden ja z.b. nie behaupten wollen, dass wegen zwei dutzend sexualstraffälligen und sonstwie randalierenden kids die ganze jugend aus einem einzigen marodierenden haufen von fickwütigen halbwüchsigen besteht. das würden sie nie öffentlich schreiben, herr skinner, denn das wäre eine so masslose übertreibung, dass sie dramaturgisch nichts mehr her macht. – ausser vielleicht in einem woody allen film oder eben bei bloggern, da können sie es machen, weils da eh niemand richtig kapiert. unglaublich. hinter welchem mond leben sie denn noch, herr skinner? und für wie blöd halten sie uns eigentlich? weiss doch jeder, dass es praktisch keine redaktion mehr gibt in der schweiz, die für irgendwelche reiseberichte noch irgendwelche reisespesen bezahlt. genausowenig wie die musikjournalisten an der konzertkasse im opernhaus etwas bezahlen müssen, bezahlen reiseschurnis an der bergbahn oder im wellnesshotel, das sie gerade rezensieren. was soll also dieser vergleich?

es verwundert mich gar nicht, dass der chaos computer club hamburg seine diesjährige weihnachtstagung unter einen für unsere zeit sehr treffenden titel stellt:

who can you trust? (wem kannst du trauen?)

ihnen, herr skinner, und ihrer sonntagszeitung, ganz sicher nicht. was sie da machen ist, so sagt man dem unter uns bloggern nun mal, bullshit-journalismus.

10 Kommentare:

  1. bugsierer, hör doch auf zu heucheln. der artikel hat dich kalt erwischt:) aber wenigstens sind nicht alle von euch weintrinker:

    www.medienspiegel.ch/archives/001529.html

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  2. oh du fröhliche.
    das ist mehr als eine breitseite. nein, das ist "zu längem und breitem" fertig gemacht.

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  3. @ prediger: was hast du nur gegen weintrinker?
    @ chm: genau, es ist eine breitbandseite... ;-)

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  4. bugsierer, woher dieser hass? verdient ein blogger-artikel wirklich so viele zeilen? ich glaube, du solltest dein angedachtes blognetzwerk gründen und dich der sonntagszeitung als freelancer andienen. das wäre produktiver ;-)

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  5. @ anonym: das ist nicht hass, sondern eine gute prise beissender spott. und ja, ab und zu sind blogger-artikel so viele zeilen wert, weil die ganze replik halt so viele zeilen braucht – auch auf die gefahr hin, dass nur wenige so viel text in einem blog lesen mögen. +++ von einem blognetzwerk hab ich nie etwas gesagt, sondern von einem projekt. es kommt, demnächst. +++ die journi-zeiten hab ich bereits hinter mir, daher möchte ich mich bei der sonntagszeitung eher nicht andienen. aber danke für den tipp.

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  6. ich find die breitseite wunderbar. macht spass zu lesen und ist erst noch wahr...

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  7. @bugsierer: wer solche hasstiraden von sich abgibt, sollte auch namentlich dazu stehen. gell, christian:) vorschlag für dein impressum:

    roetext
    Christian Röthlisberger
    Texter | Konzepter
    +41 79 229 83 90
    info@roetext.ch

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  8. Wie bitte? Das ist ja ein klassischer Fall von multiplen Persönlichkeiten. Den Bugsierer lese ich sehr gerne, der roetext schickt mich innert 2 Sekunden in den Tiefschlaf.

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  9. @ mono: danke für die blumen.
    @ anonym 1: impressum? danke für den hinweis. ist erledigt. hasstiraden? offenbar hast du noch nie eine solche gelesen. das bisschen spott muss in einer solchen debatte erlaubt sein.
    @ anonym: tiefschlaf? interessante beobachtung. muss ich mal mit meinem coach besprechen. wo genau hast du denn gelesen bei roetext?

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  10. was für eine hasstirade! ziemlich empfindlich, hm? liegt es vielleicht daran, dass deine eigene gloriose journalistische karriere sich in artikeln wie "Vier Tage uferlos zwischen Rock und Jazz" in der berner zeitung erschöpfte?

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