3. Juni 2009

namics lanciert eine dynamische wortmarke


der führende webdienstleister der schweiz, die namics ag in zürich, ging gestern mit einer werbetechnischen innovation an den start: mit einer dynamischen wortmarke.

zuerst ein kleiner exkurs zur klassischen wortmarke:

eine wortmarke (neudeutsch redet man von brands) ist immer etwas statisches. also entweder ein schriftzug, der eine logofunktion übernimmt, wie der von coca cola. oder ein schriftzug mit einem separaten bildelement/logo dazu, wie der von der ubs mit den drei schlüsseln daneben.

die wortmarke wird jeweils begleitet von einem slogan oder einer baseline. manchmal stehen diese textelemente ein produktleben unverändert unter der wortmarke, manchmal werden sie alle paar jahre gewechselt, in jüngster zeit eher häufiger.

eine wortmarke besteht also immer aus zwei elementen, nämlich der eigentlichen wortmarke plus einem slogan.




in den 50ern arbeitete coca cola mit dem heute noch bekannten slogan "mach mal pause - trink coca cola". in den anstrengenden wiederaufbaujahren war das die richtige aussage. aus den 60ern stammt dieser klassiker: "er läuft und läuft und läuft" – für den legendären vw käfer. besser kann man es nicht sagen, besser kann man eine marke nicht aufladen.

eine marke braucht viel zeit, um bekannt zu werden, um sich bei den rezipienten einzuprägen. darum sind wortmarken immer etwas sehr statisches, das allenfalls alle paar jahre ein wenig auf den gerade aktuellen zeitgeist anpasst wird, sei dies grafisch oder im slogan. gut nachvollziehbar ist das z.b. bei den slogans von saturn:

1997: spar dich reich
1999: das gibt's doch gar nicht.
2002: geiz ist geil!
2007: wir lieben technik. wir hassen teuer.
2008: wir hassen teuer.

weitere solche listen findest du bei slogans.de (wo übrigens seit 2004 auch mein slogan verewigt ist).

soweit das wchtigste zur klassischen wortmarke – im zeitalter des internettempos eine geradezu extrem statische angelegenheit.

namics stellt alles auf den kopf

der schweizer webdienstleister namics geht mit seinem heute veröffentlichten neuen auftritt ganz andere wege und lässt in sachen wortmarke keinen stein auf dem andern. die rede ist hier von einer dynamischen wortmarke. ein klick auf die website genügt, um zu erfahren, wie das funktioniert: der "slogan" besteht aus einzelnen begriffen, die minutenaktuell aus einer datenbank gesogen werden. susanne franke, markom frau bei namics, erklärt auf anfrage den vorgang wie folgt:


Die Marke generiert sich minutenaktuell aus einer Datenbank. Dorthin kommen sie aus Flickr-Bildern von Namicslern (via Spider), E-Mail, manuelle Eingabe via Intranet und Blogposts, Corporate Words kommen aus dem Markom-Team. Aus der Natur der Quellen folgt auch die zeitliche Gewichtung der Worte in der Marke. So ist zum Beispiel ein Foto im Flickr kurzlebiger als ein Thema über das wir mehrfach referieren. Die Impulse (Worte), aus Flickr sind 24 h aktiv, Corporate Words (kommen vom Markom zum Beispiel aus Kunden-Referenzen) verfallen. alle anderen Worte kommen von den genannten Quellen und haben unterschiedlich kurze oder Lebzeiten. Es gibt keinerlei Filter und Blacklist.

offline, d.h. für anwendungen der dynamischen wortmarke auf printmedien wie plakaten, broschüren, stelleninseraten, messeständen und dergl. passiert die auswahl der begriffe laut su franke so:


Für ein Event zum Beispiel ziehen wir im Markom Team die Impulse passend zum Thema entweder aus den Referaten oder auch umfeldbedingten Texten, Blog-Posts (zum Beispiel, wenn der Wettbewerb etwas sagt, können wir das gegenteilige Wort belegen) übrigens auch die Farben anpassen, damit sie an einer Logotafel nicht untergeht, können wir eine komplementäre Farbe wählen, die keiner sonst hat.

kurz und gut: die wortmarke wird in einem baukastensystem immer wieder neu zusammengestellt und hintendran läuft eine art web 2.0 motörchen. die wortmarke prägt das ganze corporate design in einem ausmass, wie man es bisher noch kaum gesehen hat.

ein sehr spannender ansatz, inspiriert aus dem social web – die mitarbeiter bestimmen die kultur "ihrer" firma, sie machen die firma letztlich aus und sie sie prägen ergo die wortmarke mit ihren inputs. damit dies nicht nur eine worthülse bleibt (wie so oft bei solchen konzepten), reicht eine dynamische wortmarke allein natürlich nicht aus. wenn dieser ansatz gegen innen nicht gelebt wird, wird er von aussen auch nicht geglaubt.

soweit ich namics in den letzten jahren beobachtet habe, scheint dort eine sehr kollaborative, kreative und lockere atmosphäre zu herrschen. der ceo jürg stucker pflegt im namics blog jedenfalls einen erstaunlich offenen ton, der für einen branchenführer mit fast 300 mitarbeitern alles andere als selbstverständlich ist (das gleiche gilt für seinen twitter account). seit jahren liest man im namics blog, wie mit wikis und internen blogs experimentiert wird, also neue technologien zuerst ausprobiert werden, bevor man sie den kunden verkauft.

bei namics werden schon mal vorträge in zügen gehalten und es gibt einen kunstpreis, der sich mehr als sehen lassen kann. und die mitarbeiter sind bis zur letzten sekretärin nicht nur erwähnt, sondern mit einer top fotografierten aufnahme porträtiert. man zeige mir ein ebenbürtiges personalportfolio (mit 300 leuten) in bezug auf die gebotene fotoqualität. der hammer.

eine internetfirma also, wie sie im buche steht. wer sonst soll eine dergestalt dynamische wortmarke 2.0 schon ausprobieren? für markenartikler wie etwa möbel pfister dürfte sich diese strategie eher weniger eignen. für eine schraubenfabrik – wie namics ebenfalls eine b2b firma – auch nicht. ein solches konzept kommt nur für unternehmen in frage, bei denen der kunde kreative und/oder innovative dienstleistungen erwartet. und: man muss eine gewisse stellung im markt haben, um sowas überhaupt zu wagen.

dass es den namicslern ernst ist mit diesem auftritt zeigt auch der umstand, dass die ausführende agentur heads in diese richtung gebrieft wurde

verstehen die namics kunden diesen radikalen auftritt? sicher nicht alle und sicher nicht von heute auf morgen. beides dürfte aber kaum das ziel sein. im gegenteil, vermute ich mal. das ziel dürfte sein, dass dieser auftritt vorerst und immer wieder zu reden gibt, er soll anlass für einen dialog über diese marke – etwas besseres könnte nicht passieren. wenn es denn passiert. warten wirs ab.

alles in allem finde ich den neuen auftritt von namics sehr gewagt, schon allein dafür gehört er gelobt. gute unternehmenskommunikation kann nur dort entstehen, wo die kunden etwas wagen. an der vielen schlechten werbung überall sind nämlich nicht in erster linie die werber schuld, sondern die kunden, die nichts wagen resp. nicht den aufwand betreiben, etwas eigenständiges zu entwickeln.

dass man mit erst 20% des contents an den start geht, ist mutig (und mir persönlich sympathisch), und eben auch typisch web 2.0.

voll 1.0 ist dagegen das alte leidige thema, für das man webdesigner nach wie vor brunnetrögle sollte, und zwar im winter: DIE SCHRIFT IST ZU KLEIN. AUCH LEUTE IM TYPISCHEN ENTSCHEIDERALTER (wie ich) SOLLTEN EUREN KONTENT LESEN KÖNNEN. es sieht zwar schön aus, aber man kann es nicht lesen = usability am arsch und eine beleidigung an die, die den kontent erstellt und erdacht haben, kontent ist und bleibt king, liebe designers, eure kunsttypo könnt ihr ins museum hängen. noch fragen?

dass die seite am ersten tag dann doch nicht wirklich gelaufen ist (trotz passwortgeschütztem vorabzugang für einige blogger), ist... na ja, übermorgen redet kein mensch mehr davon.

fazit: gut gedacht, gut gemacht, ich bin sehr gespannt, wie namics und die agentur heads diese innovation in der schweizer markenbildung weiterentwickeln. würde mich nicht wundern, wenn das konzept furore machen würde.
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10 Kommentare:

  1. Saubere und tiefgehende Analyse Herr Bugsierer. Gerade dass du die Dynamik der Wortmarke und das Zusammenspiel mit den verschiedenen Quellen analysierst und aufzeigst ist super. Das mit der Schriftgrösse habe ich auch gedacht. Der Content könnte ruhig noch ein paar Pixel mehr vertragen. Das ist jetzt Mode.

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  2. Schliesse mich @leumund vollumfänglich an: saubere und interessante Analyse. Die Kritik der Schriftgrösse werde ich in spätestens 2 Jahren mittragen, sagt mein Optiker.

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  3. Guter Artikel, war ja zu erwarten bei dir. Dass Du dich als Texter für diese Wortmarke eher begeistern kannst als ich (Grafiker) habe ich auch vermutet. Mein Kommentar bei Leubunds Post war ja eher gegen das neue Konzept von Namics, wohl auch weil dort nicht alle Details erwähnt wurden. Das mit dem Texte vie DB generieren finde ich eine sehr coole Idee, auch die Visualisierungen der Print-Produkte gefallen mir nicht schlecht,

    Es gibt sagen wir drei Ansichten, wie Werbung zu funktionieren hat: Zyniker meinen, Werbung ist dann gut, wenn sie dem Auftraggeber gefällt. Raymond Rubicam (Grossvater Young & Rubicam) sagte einmal, Werbung sei dann gut, wen alle darüber sprechen und die höchsten Auszeichnungen dafür abgeräumt werden können. Eine dritte Ansicht vertrat z.B. David Ogilvy (gelesen in seinem Buch "Geständnisse eines Werbetexters"): Werbung ist dann gut, wenn der Endkunde nicht das Inserat/Logo in Erinnerung hat, sonder das Produkt (und dies auch kaufen möchte, bei Bedarf).

    Für mich zählt nicht die Originalität eines Logos oder Wortmarke, sondern der Erfolg dieser. Trotzdem ein moderner Schritt von Namics, ich bin gespannt wies in 2-3 Jahren aussieht.

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  4. @dworni
    ja ja, der leubund der geht halt nicht immer so tief in seinen beiträgen. :-) Vielleicht kannst du ja die Diskussion in meinem Beitrag mit deiner Erkenntnis noch bereichern?

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  5. @leumund + @philby: merci für das lob.

    @dworni: klar, dass ich bei einem so textlastigen branding eher hellhörig werde als du. schliesslich bist du auch in einer anderen zeit "geimpft" worden als ich. dass du die alten hasen gelesen hast, kann man dir nicht hoch genug anrechnen. war das pflichtlektüre in deiner ausbildung?

    du sagst es richtig: entscheidend ist letztlich, ob es funktioniert oder nicht. dennoch finde ich, dass die grafik in den letzten jahren krass überbewertet wurde resp. der kontent krass vernachlässigt.

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  6. Ich bin zwar wieder einmal zu doof, um alles zu verstehen, aber das Beispiel aus dem Link finde ich absolut genial. Jedes Wort, das da aufscheint, weckt Assoziationen. Einfacht klasse, klasse, klasse. Und wenn es gute Wörter sind, die da aufscheinen, ist sogar die Poesie ganz nah.

    Ich will auch so was! Danke für den Hinweis.

    PS: Ich versuche jetzt, mich mit meinem zappadongschen Technik-Antitalent so fachkundig wie möglich zu machen.

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  7. @leumund: nix für ungut für den Verschreiber, Kommentare kann man hier nicht korrigieren. ;-)

    @bugsierer: nee, Pflichtlektüre sind da so Bücher über den Druck und Typografie. Ogilvys Buch habe ich aus der Brokenstube. Ein tolles Buch eines Schweizer Werbetexters wäre auch noch eins von Milo Schraner (hatte mein Chef im Regal, Titel fällt mir gerade nicht mehr ein).

    Und ja: Content ist King. Wer da heutzutagx etwas mehr macht als das Nötige, ist schon dabei.

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  8. Milo Schraner! Lebt der noch?

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  9. @dworni: hab ich mir doch gedacht, dass da keine schlauen bücher rumgeboten wurden. ist ja meistens so, dass einem die wesentlichen sachen irgendein privater "mentor" unterschiebt.

    @hildebrandt: keine ahnung, ob schraner noch unter uns ist. im netz ist das auf die schnelle auch nicht rauszukriegen. auf jeden fall ein top name in der schweizer werbung.

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  10. danke Bugsierer für Deine Einschätzung. Wir haben die Barrierefreiheit schwer im Visier, auch ich kann nur mit richtig grosser Einstellung lesen. Kommt in 1.2. die noch zu erledigenden 80% beziehen sich mehr auf die Optimierung der Website als auf den Kontent, wir wollen keinen Buchstaben-Friedhof produzieren, aber dafür noch mehr Social Media Elemente und eine Flow-Version.

    Wir arbeiten weiter und erleben jetzt mal die neue Marke. Sie macht riesig Spass, allen!

    ps. ich mach kommunikation für namics, hab keine ahnung von marketing ;)

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