23. Juli 2006

Wort zum Sonntag II

Gestern am frühen Abend war plötzlich – nach einem kurzen und heftigen Gewitter – der Strom weg. Im ganzen Quartier. Scheisse, dachte ich – was jetzt? Da erinnerte ich mich an meinen Aufenthalt in Beira, der zweitgrössten Stadt von Moçambique, an der südlichen Ostküste von Afrika. Ich war nur drei Wochen dort. Zu Besuch bei einem Freund, der dort lebte, darum war es um so intensiver.
Beira hat zwischen 200 - 300'000 Einwohner, so genau weiss das niemand. Die meisten davon leben ohne Strom, ohne Wasser (im Haus), also auch ohne sanitäre Anlagen. Mozambique ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es gibt es 52% Analphabeten. 1.2 Millionen AIDS-Kranke. 21% Arbeitslose. 70% der Bevölkerung leben an der Armutsgrenze. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt knapp 40 Jahre. Weit verbreitet (very high risk) sind Diarrhöe, Malaria, Hepatitis, Typhus, Pest und Bilharziose. Einwohner total: 19 Millionen. Internet user: 138'000 (in der Schweiz sind es knapp 5 Mio.).
Es gibt in Moçambique praktisch keine Touristen, schon gar nicht in Beira. Ich fand dort nicht mal eine Postkarte. Hier gibt's von jedem Bauernkaff eine. Ausländer in Beira sind entweder Mitarbeiter von Entwicklungsorgansiationen oder mehr oder weniger dubiose Geschäftemacher (Import/Export). Kleiderläden z.B. gibt es in dieser grossen Stadt praktisch keine. Die Leute decken sich weitgehend mit gespendeten Waren aus Europa ein. Spital gibt es in Beira gerade mal eines, die Warteschlange davor ist jeden Tag 500 Meter lang und es ist das einzige im Umkreis von 500 km.
Ziemlich happig das alles. Wenn man es nicht selber gesehen hat, weiss man von gar nix. Wenn du da drin hockst in so einer verlorenen Stadt, bist vor allem einmal sprachlos. Es ist rundum heavy. Mindestens 10 mal am Tag dachte ich: die werden den Anschluss an europäische Standards nie schaffen. Nie. Unmöglich.
Die Portugiesen haben das Land anfangs der 70er fluchtartig verlassen müssen und haben alles mitgenommen. Alles, was sie mitnehmen konnten. Da war keine klapprige Schreibmaschine mehr im Land. Die Portugiesen hatten flott gelebt dort. Mitten in Beira haben sie – vor ca. 100 Jahren– ein Grand Hotel gebaut. Ein wunderschönes Gebäude (siehe Bild oben). Direkt am Meer gelegen, mit Tennisplatz, Swimmingpool, Park und Golfplatz in der Nähe. Es war eine Topadresse im südlichen Afrika. Ein Paradies für die Kolonialherren, vor allem reiche Engländer aus Zimbabwe, wo es kein Meer hat.
Heute leben in diesem ehemaligen Grand Hotel ca. 1'000 Obdachlose (siehe Bild unten). Es hat dort weder Strom noch Wasser noch Fenster noch irgendwas. Aber es hat ein Dach. Noch. Immerhin.
Mein Freund, den ich in Beira besuchte, lebte in einem Viertel, wo alle Europäer leben, wo das Wasser- und Stromnetz erstens vorhanden und zweitens noch eingermassen intakt war. Wasser gab es aber nur morgens zwischen 8 und 10 Uhr, dann wurde es abgestellt und in ein anderes Quartier gepumpt. Man musste sich täglich mit Kübeln und Kanistern einen Vorrat anlegen. Stromausfälle gab es regelmässig. Hier gibt es das alle paar Jahre, wenn überhaupt. Dort jede Woche. Und wir taten jedes mal das gleiche: wir tranken die kalten Biere aus dem Kühlschrank weg, solange sie noch kalt waren. Denn man wusste nie, ob der Strom in 2 Stunden oder in 2 Tagen wieder kommt.
Daran dachte ich gestern Abend, als hier plötzlich der Strom weg war. Also ging ich zum Kühlschrank, setzte mich zu Luigi und wartete, bis der Strom wieder da war. Es dauerte eine knappe Stunde. Keine Chance, den Kühlschrank leerzutrinken.

1 Kommentar:

  1. da sieht man wieder mal in welchem wohlstand wir eigentlich leben. als ich in havanna/kuba war gab es dort wo wir die erste nacht verbrachten auch keinen strom. - kerzenschein in der empfangshalle des hotels! - die haben uns dann gesagt, dass abwechselnd immer einer der fünf stadtteile havannas für eine nacht keinen strom bekommt - sparen auf kubanisch...

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