6. Februar 2009

«Zürich transit maritim»: gute idee. und sonst?

die stadt zürich möchte eine städtebauliche debatte anschieben und hat dafür einen kunstwettbewerb ausgeschrieben. geht das?

das siegerprojekt «Zürich transit maritim» sieht vor, mitten in der stadt zürich einen alten hafenkran aufzustellen.

... es überzeuge durch seine aussergewöhnliche Dramaturgie, «bei der sich die Materialisierung allmählich und dann spektakulär intensiviert und im Anschluss wieder abbaut, ohne ganz zu verschwinden», fand die Jury.

soso. solches kunstgeschwurbel ist nicht dazu angetan, einem breiten publikum ein so provokatives projekt schmackhaft zu machen. wie man in den leserspalten nachlesen kann, kapiert der gemeine mainstream noch gar nichts. nicht mal die redaktion von 20min hats kapiert und zeigt als beispielbild nicht etwa einen hochseehafen wie hamburg oder rotterdam, sondern den yachthafen von monaco.


das ist natürlich was ganz anderes, 20min. aber vermutlich war es der praktikant. vermutlich wird 20min fast nur von praktikanten gemacht.

henusode. weiter heisst es bei der nzz:

Das Projekt werde wohl nicht allen gefallen oder einleuchten, sagte Kathrin Martelli. Sie hofft aber auf eine breite städtebauliche Debatte – «mit Engagement und dem offenen Geist, der einer Weltstadt gut ansteht».

dann wollen wir der debatte mal einen schubs geben. als bugsierer bin ich ja quasi fachmann in sachen hafenanlagen.

hafenkräne sehen nicht so gut aus, weil sie gross auf die optik designt wären, sondern weil sie statisch optimiert sind. wie z.b. dieses prachtsexemplar in malmö:


echte hafenanlagen mit geilen kränen sehen so aus:


oder so:


beide bilder habe ich in hamburg aufgenommen. (alle bilder sind für grössere versionen anklickbar).

und in zürich sähe das projekt "Zürich transit maritim" dann so aus:


hüstel. – na ja, ist halt "nur" kunst. einen ganzen hafen können sie ja nicht hinstellen (da würde das gezeter noch grösser).

zusätzlich zum hafenkran sollen auch poller aufgestellt werden (diese grossen eisendinger, an denen man die schiffe festbindet) und ein schiffshorn soll ab und zu ertönen.

für einen ort, um den seit jahrzehnten gestritten wird, was mit ihm passieren soll, finde ich so eine kunstaktion schon mal einen erfrischenden schritt in die richtige richtung. ob sie die gewünschte städtebauliche diskussion auch auslösen kann, bleibt abzuwarten. aber der ansatz, mit einer kunstaktion eine solche anschieben zu wollen, ist interessant.

die stadt zürich will mit dieser aktion weltoffenheit zum ausdruck bringen. in der tat sind häfen ein starkes symbol für weltoffenheit – dort hat schliesslich die globalisierung einst ihren anfang genommen. insofern ist es ein starkes zeichen, mitten in zürich einfach mal einen hafenkran hinzustellen.

letztlich geht es den zürchern aber um die frage, wie das podest beim rathaus-café genutzt werden soll. und es ist nicht die einzige ecke, mit der sich die zürcher seit jahrzehnten schwer tun. immer wieder werden projekte gebodigt und immer wieder wird dann von der verliererseite die mangelnde weltoffenheit von zürich bemängelt. dagegen soll jetzt ein alter hafenkran symbolisch – und das ganze stadtbild aus dem lot bringend – anwirken.

find ich guet. das budget von 440'000 franken ist damit optimal investiert. mehr visuellen lärm als mit einem hafenkran vor der altertümlichen kullisse dieses von aargauern eingelullten zürichs kann man fast nicht mehr machen. und dann noch das schiffshorn. ein akustischer charmebolzen mit ca. zweitausend dezibel, den man bis weit in die aussenbezirke hören wird. am besten alle drei stunden rund um die uhr. ganz zürich käme voll auf die städtebaudebatte. 7/24, wie in einem richtigen hafen.

auch wenn das schiffshorn nur mittags bläst, zusammen mit dem kran werden diese bilder und töne um die welt gehen. beste tourismuswerbung für quasi null geld.

ob diese aktion wie gewünscht auch die städtebauliche debatte anschubsen oder neu beleben wird, bleibt abzuwarten. das wird im wesentlichen davon abhängen, was parallel dazu noch unternommen wird. man kann ja nicht einfach einen kran hinstellen und basta. zumindest eine website und ein paar veranstaltungen drumherum müssten dann schon noch sein.

ich bin überhaupt etwas verwundert, dass es für dieses projekt noch KEINE website gibt. wenn man schon weltoffenheit zum thema hat, dann sollte doch spätestens bei der bekanntgabe der wettbewerbsgewinner eine kleine website online sein, wo man die eingereichten projekte studieren könnte. das macht doch heute jedes provinzmuseum so.

denn einfach nur kunst, die man selbstredend im öffentlichen raum platziert, ist das ja nicht. die stadt zürich hat diesen kunstwettbewerb ausgeschrieben, um eine städtebauliche debatte anzuschieben. die kunst hat hier also eine klar definierte kommunikationsfunktion. entweder hab ich was verpasst, oder es ist wirklich das erste mal, dass eine schweizer stadt ein kunstprojekt mit einem so klaren kommunikationsauftrag ausschreibt.

kunst zeichnet sich dadurch aus, dass sie keinen auftrag hat. jedenfalls keinen so konkreten. die kommunikationsaufgabe "schiebe eine städtebauliche debatte an" wäre eigentlich eine klassische aufgabe für eine kommunikationsagentur. dass man es in zürich über einen kunstwettbewerb löste, hat verschiedene vorteile. es ist billiger, authentischer und damit medienwirksamer. ein föteli rund um die welt und wegen dem tuten auch filmbeiträge worldwide sind so gut wie gebucht.

wenn da nur diese debatte nicht wäre. dann könnte man das ganze als tolle tourismuswerbung abbuchen. ich behaupte einfach mal ganz kühn: um diese debatte wirklich zu führen und dann in fünf jahren städtebaulich etwas weiter zu sein als heute, braucht es mehr als einen kran, ein paar poller und ein schiffshorn. kunst hin oder her.

wir wollen es nicht verschreien. vielleicht kommt die website ja noch, vielleicht kommen die begleitenden massnahmen noch, vielleicht wird das DIE grosse debatte mit DER grossen losung. angesichts des zeitplans ist aber eine gewisse skepsis angezeigt. bereits ende 2009 sollen die ersten poller aufgestellt werden und 2010 kommt der kran.

aber ausser einer pressekonferenz und einer knappen handvoll medienberichte gibt es dazu noch nichts als einen gewinner und eine fotomontage. für ein projekt, das das stadtbild von zürich dermassen verändert (für den mainstream ist das eine provokation) und eine seit jahrzehnten fällige städtbaudebatte auslösen soll, ist das zu wenig.

+ + + + +

update 19.30h: wie mir eine nichtgenanntseinwollende stammleserin mitteilt, gibt es doch eine website. und was für eine. etwas peinlich, dieses pfadiniveau, für ein projekt mit 440'000 franken budget, finde ich. so wird das ganz sicher nicht das, was es sein sollte.
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7 Kommentare:

  1. Tja, da merkt man wie du dich wohlfühlst bei dem Thema. Ich mag diese wirklich toll geschirebenen Artikel von dir. Da kann so mancher Journalist einpacken.

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  2. Ich verstehe alle Kunstliebhaber, die in Zürich gerne mal etwas Ausgeflipptes machen und sehen wollen. Aber muss es denn gerade ein derart landschaftsfremdes, hässliches Ding wie ein Hafenkran sein? Und das mitten in der Innenstadt. Wo man es nun endlich geschafft hat, die Autos vom Limmatquai zu verbannen und eine schöne Promenade hinzubekommen? Die meisten Leute unterschätzen wohl völlig die schiere Grösse und optische Penetranz eines solchen Krans. Diese Kräne sind Giganten. Sie verrichten Schwerstarbeit. Und genau dafür wurden sie geschaffen. Aber nicht für ein zierliches Umfeld wie ein Limmatquai, wo sie weder eine Funktion erfüllen noch reinpassen.

    Da ist nichts mehr mit der Altstadtidylle, die Stadtzürcher so lieben. So ein Kran würde höchstens bei der Schiffswerft Wollishofen hinpassen. Aber dort hat es ja bereits Kräne, jedoch solche, die besser zu Zürich passen in Dimension und Optik. Weil Sie dafür geschaffen wurden.
    Ich mache deshalb jede Wette, dass die Befürworter dieses Kranprojekts mehrheitlich Leute sind, die NICHT in der Stadt Zürich wohnen.

    Mit diesem absurden Kranprojekt wollte wohl einfach die Jury und der Künstler durch Provokation in die Medien kommen (Prinzip Hirschhorn, Hirst). Dies ist gelungen, der Wert des Künstlers wurde erfolgreich gesteigert, eine Diskussion ist entstanden. Damit braucht es den Kran dafür gar nicht mehr und man sollte das Projekt im Interesse der Stadt besser bleiben lassen.
    Soviel Geld auszugeben für etwas, das kaum stadtzürcher Arbeitsplätze schafft, sondern zur Hauptsache für Material, Miete und Transport benötigt wird, sollte man sich in diesen Zeiten zweimal überlegen.

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  3. @ david: vielen dank für die blumen. bei welchem titel soll ich anheuern? ;-)

    @ peter: gut, deine enervierung in ehren, aber deine sichtweise ist wohl genau die, die in dieser debatte aufgebrochen werden soll. die von dir so geschätzte altstadtidylle ist doch nur noch eine grosse show. hinter den perfekt renovierten fassaden läuft in der zürcher city auf jedem quadratmeter nur eiskaltes business. diesem geschleckten und verlogenen ambiente kann ein gigantischer rosthaufen in form eines alten hafenkrans nur gut tun.

    das geldargument sticht schon gar nicht. die 440'000 sind ein klacks verglichen mit dem pr-effekt, den die aktion erzeugen kann. die frage ist einzig, ob mit diesem betrag und einer sozusagen "nackten" kunstaktion tatsächlich eine debatte angeschoben werden kann.

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  4. ich schlage vor, dass man eine kopie vom matterhorn ins zürcher seebecken stellt..
    Zürich umrahmt von bergen!

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  5. Das ist dein Thema, gell. ;-)

    Darüber liesse sich gut bei einem Edelzwicker philosophieren. Was man zum Beispiel lokal auch mal so aufstellen könnte....

    Haste mal Zeit?

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  6. Ich wäre ja mehr für die Einfuhr der entsprechenden Schiffe...um endlich richtige Wellen aufm See zu haben...

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  7. @ mara: auch eine top idee. da würde ja ein kleiner containerfeeder schon reichen. aber die brücken müssten weg. meinst du das geht?

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